Montag, 3. September 2012

Descartes, dritte Meditation

Die dritte Meditation ist wahrscheinlich das Kernstück des gesamten Textes, denn hier möchte Descartes zeigen, dass Erkenntnis trotz des hyperbolischen Zweifels möglich ist.
Dazu führt er den sog. ideentheoretischen Gottesbeweis. Dieser wird so genannt, weil Descartes von seiner Vorstellung bzw. Idee Gottes auf dessen notwendige Existenz schließt.
Gott ist wiederum nach Descartes vollkommen und deshalb gut, weshalb er es nicht zulassen würde, dass der Mensch ständig durch einen bösen Dämon (oder sich selbst) würde.
Wenn Descartes also zeigen kann, dass es einen guten Gott geben muss, ist das Dämon-Argument widerlegt und Erkenntnis möglich.

Die grundlegende Idee des Gottesbeweises besteht darin, dass die Vorstellung Gottes irgendeine Ursache haben muss, und Descartes plädiert dafür, dass diese Ursache Gott selbst sein muss.

Das Argument lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

(1) Kausalprinzip:
(a) Es muss mindestens ebensoviel Sachgehalt in der wirkenden Ursache sein wie in der Wirkung der Ursache.
(b) Das gilt nicht nur für den formalen Sachgehalt der Wirkung, sondern auch für deren objektive Realität.

(2) Ich habe eine Vorstellung von einem vollkommenen Gott.

(3) Die Vorstellung von etwas Vollkommenen hat einen vollkommenen Sachgehalt.

(4) Es existiert eine vollkommnene Ursache. (aus 1,2,3)

(5) Nur Gott ist vollkommen.

(6) Ein vollkommener Gott existiert.  (aus 4 und 5)

(Diese Zusammenfassung ist aus der Vorlesung "Rationalität" von Prof. Grundmann entnommen.)

Hier muss zunächst die Terminologie der Prämissen erklärt werden:

(a) besagt im Umkehrschluss, dass die kausale Relation selbst nichts zu der Wirkung hinzufügt; alles, was konstitutiv für die Wirkung ist, muss als Sachgehalt bereits in der Ursache vorhanden sein.
(b) :  Descartes teilt die Welt in unterschiedliche Formen ein: unabängige Substanzen (Gott), abhängige Substanzen (Körper und Geist), und Eigenschaften. Diese Modalität ist der formale Gehalt einer Entität und das Prinzip (b) besagt, dass abhängige Substanzen nur abhängige Substanzen und Eigenschaften, nicht aber unabhängige Substanzen verursachen können. Durch kausale Relationen findet kein Moduswechsel statt.
Die objektive Realität ist der repräsentationale Gehalt einer Vorstellung dieses Gegenstandes.
Das Prinzip b besagt also, dass der repräsentationale Gehalt nicht dem Gegenstand keine Eigenschaften zuschreibt, die letzterer nicht aufweist.

Hier stellt sich natürlich gleich die Frage, wie pausibel diezweite Prämisse ist:
Es ist in der Forschung immer noch umstritten, wie der Geist repräsentiert und dementsprechend ist es fraglich, ob der Geist dem Gehalt nicht etwas hinzufügt, das die Ursache nicht als Eigenschaft aufweist.

Die zweite Prämisse ist mir als Tatsache des Bewusstseins gewiss.

Die dritte Prämisse ist der Knackpunkt des gesamten Argumentes: Descartes muss hier zeigen, warum wir nicht einfach durch die Negation des Unvollkommenen und Endlichen zu einer Vorstellung Gottes gelangen und warum diese Vorstellung nicht leer ist.
Nach Descartes kann diese Vorstelllung zunächst nicht leer sein, denn dazu ist sie zu klar und deutlich. Descartes' Vorstellung von Gott zeichnet diesen als eine "unendliche, unabhängige, allweise, allmächtige Substanz " aus.
Wie kommt man nun zu dieser Vorstellung? Nach Descartes eben genau nicht nur durch Abstraktion: Man negiert nicht einfach seine Unvollkommenheiten und entwickelt daraufhin die Vorstellung von etwas Vollkommenen. Wenn der Geist dem repräsentationalen Gehalt nichts hinzufügt, muss folgendes gelten:
Durch geistige Operationen können wir unsere Vorstellungen nicht inhaltlich anreichern; d.h. wir können nicht aus Vorstellungen bzgl. unserer Unvollkommenheiten eine Vorstellung von Vollkommenheit enwickeln, wenn wir den Begriff der letzteren nicht immer schon besessen haben.
Bis hierhin hat Descartes also gezeigt, dass wir eine angeborene Vorstellung Gottes haben müssen. Warum sollte diese aber von Gott verursacht sein?
Diese Frage weist auf die fehlende Prämisse hin, ohne die das Argument nicht gültig ist. Descartes muss zusätzlich behaupten, dass alles eine Ursache hat, so auch die Idee Gottes.
Wenn dies der Fall ist, kann man von der Idee der Vollkommenheit mit dem Kausalprinzip auf die Existenz einer vollkommenen Ursache schließen.

Wenn wiederum nur Gott vollkommen ist, kann man auf dieser Grundlage die notwendige Existenz Gottes behaupten.

Die Korrektheit des Argumentes hängt jedoch wesentlich von dem zweiten Kausalprinzip ab: Damit wird angenommen, dass der Geist dem repräsentationalen Gehalt nichts "hinzufügt". Dadurch lässt sich wiederum die dritte Prämisse gegen naheliegende Einwände verteidigen: Denn wenn der Geist seine Vorstellungen nicht verändert, kann die Vorstellung von Vollkommenheit keine Eigenproduktion des Geistes sein. Wenn man zusätzlich noch davon ausgeht, dass alles eine Ursache haben muss, kann nur Gott die Ursache der Vorstellung von Vollkommenheit sein.
Oben haben wir aber bereits festgestellt, dass die Prämisse nicht unbedingt einleuchtend ist, da es zweifelhaft ist, welchen Beitrag der menschliche Geist zu dem repräsentationalen Gehalt seiner Vorstellungen leistet.

Aber es wird noch ein weiterer schwerwiegender Einwand gegen diesen Beweis vorgebracht: Bereits ein Kommentator der Meditationen, Arnauld, machte Descartes darauf aufmerksam, dass seine Argumentation zirkulär ist, denn die Wahrheit der Prämissen setzt die Wahrheit der Konklusion schon voraus.
Der Gottesbeweis hat zur Folge, dass Erkenntnis möglich und  der Dämon-Zweifel aufgehoben ist, weil ein vollkommener Gott uns niemals auf diese Weise irren lassen könnte. (Als vollkommener Gott weist er natürlich die Eigenschaft der Güte auf.) Ein vollkommener Gott garantiert nach Descartes die Wahrheitsregel, die besagt, dass alles, was wir klar und deutlich erkennen, auch wahr sein muss.
Jedoch stellt sich nun die Wahrheit, wie die Prämissen des Beweisen als wahr gelten können, wenn sie zwar klar und deutlich erkannt, aber dieses Wahrheitskriterium noch nicht unter dem Schutz der göttlichen Allmacht steht.


Man könnte hier natürlich versuchen, dem Zirkel-Vorwurf zu entkommen, indem man behauptet, dass die Prämissen nicht der Wahrhietsregel unterliegen müssen.
Dazu könnte man annehmen, dass die skeptischen Argumente auf weitere Prämissen verpflichtet, wie z.B. die, dass man seine bewussten mentalen Zustände erfassen können muss und dass Kausalität ein geltendes Prinzip ist. (Der böse Dämon wird ja schließlich als Ursache unserer gestörten Vorstellungen genannt.)
Hier kann man wiederum einwenden, dass der infallible Zugang zu den bewussten mentalen Zuständen nicht die Wahrheit ihres Gehaltes verbürgt, d.h. auch wenn wir die Prämissen introspektiv infallibel wahrnehmen können, besagt das nichts über ihre Wahrheit. Weiterhin ist der Skeptiker zwar auf die Annahme von Kausalität verpflichtet, aber das bedeutet nicht, dass er Descartes' Interpretation des Prinzips (die zweite Kausalbedingung) akzeptieren muss.

Da diese Versuche nicht fruchtbar erscheinen, könnte man versuchen, den Zirkel zu umgehen, indem man behauptet, dass die Wahrheitsregel nicht von Gott abhängig ist, da der Skeptiker ebenfalls verpflichtet ist zu glauben, dass das, was er gerade bewusst erlebt, wahr ist. Gott ist nur für die Wahrheit von Erinnerungen zuständig.
In der ersten Meditation stellt Descartes jedoch genau diese Bedingung in Frage, indem er meint, dass der Betrügergott auch evidente, bewusste Wahrheiten wie 2+3=5  falsch erscheinen lassen könnte. Diese Verteidigungsstrategie wäre somit selbstwidersprüchlich.

Insgesamt erscheinen die Aussichten, die Zirkularität des Argumentes aufzulösen, doch eher gering.


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