Dienstag, 28. August 2012

Descartes, 1. Meditation

Descartes' Meditationen über die erste Philosophie werden als Grundlegung der modernen Erkenntnistheorie angesehen. Die Modernität des Textes besteht darin, dass Descartes den Erkennenden selbst in das Zentrum der Untersuchung rückt und allein auf dieser Grundlage die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit zu bestimmen versucht.

Um die Argumentation der Meditationen zu verständlich zu machen, muss zunächst Descartes' grundlegende epistemische Position erklärt werden.

1. Fundamentalismus
Descartes geht davon aus, dass Wissen und Erkenntnis ein Fundament haben, d.h. dass man seine Überzeugungen so weit analysieren kann, bis man auf grundlegende trifft, die nicht weiter analysiert werden können und somit basal sind. Die basalen Überzeugungen müssen wahr sein und ihre Wahrheit (plus die korrekte Anwendung von logischen Prinzipien) garantiert die Wahrheit von komplexeren Überzeugungen. 

Offensichtlich besteht die größte Schwierigkeit dieser Position darin zu erklären, wie die grundlegenden Überzeugungen wahr sein können, wenn dies nicht durch weitere Überzeugungen begründet wird. In diesem Falle wären die Überzeugungen schließlich nicht basal.Ein wesentliches Ziel der Meditationen besteht folglich darin, dieses Problem zu lösen.

Man kann natürlich auch andere epistemische Theorie vertreten wie z.B. den Kohärentismus und den Reliabilismus.
Der Kohärentismus bestimmt die Wahrheit einer Überzeugung in ihrer Übereinstimmung mit möglichst vielen anderen Überzeugungen, die das jeweilige Subjekt vertritt. Wenn sich eine Überzeugung problemlos in unsere Theorie über einen Sachverhalt einfügen lässt, gilt sie als wahr. Hier ist natürlich fraglich, inwiefern die Übereinstimmung einer solchen Theorie mit der Welt gewährt ist. Denn schließlich kann man auch eine konsistente Theorie vertreten, die aber in ihrer Gesamtheit an der Welt vorbeigeht.
Der Reliabilismus behauptet wiederum, dass eine Überzeugung wahr ist, wenn ihr propositionaler Gehalt der Fall ist und wenn sie durch einen reliablen Prozess erworben worden ist. Ein reliabler Prozess ist z.B. die Wahrnehmung, die in der Mehrheit der Fälle eine zutreffende Repräsentation der Umwelt erzeugt. Für den Reliabilismus ist dabei nicht entscheidend, ob dem Subjekt die Überzeugung auch bewusst ist; Wissen wird hier folglich externalistisch definiert. Darin bestehnt wiederum eine große Schwierigkeit des Reliabilismus, denn er muss erklären können, warum z.B. die reliablen Prozesse einer Maschine kein Wissen erzeugen, d.h. inwiefern der Aspekt der Reliabilität für die Produktion von Wissen überhaupt relevant ist.

2. Internalismus
Descartes geht davon aus, dass die Grundlagen des Wissens bzw. der Erkenntnis nur aus der Perspektive des Subjekts bestimmt werden können. Sie hängen also davon ab, wie das Subjekt intern konstituiert ist.
Der Internalismus behauptet, dass die Rechtfertigung einer Überzeugung dem Subjekt zugänglich sein muss. Bei Descartes werden Überzeugungen durch Vorstellungen gerechtfertigt, weshalb man introspektiven Zugang zu diesen haben muss.

Im Gegensatz dazu behauptet ein Externalist, dass die Rechtfertigung für das Subjekt selbst nicht verfügbar sein muss; sie muss lediglich objektiv erkennbar sein. Wenn man bspw. ein externalistischer Reliabilist ist, geht man davon aus, dass Überzeugungen durch Wahrnehmungen gerechtfertigt werden können. Da Wahrnehmungen im Allgemeinen durch reliable Prozesse hervorgebracht werden, gelten sie als Rechtfertigung, auch wenn sich das Subjekt ihrer nicht bewusst ist.
3. Methodologie

Das Ziel von Descartes' Untersuchung besteht in einem erkenntnistheoretischen Fundamentalismus, d.h., er möchte eine unbezweifelbare Grundlage des Wissens finden, von der aus er zu weiteren gesicherten Erkenntnissen gelangen kann.
Sein methodisches Vorbild ist dabei Eukids Geometrie, denn diese basiert auf einfachen logischen Prinzipien (z.B. dem der Transitivität) und generiert durch ihre Kombination ein umfassendes mathematisches Wissen. Im Unterschied zur Mathematik müssen jedoch in der Philosophie zuerst alle bereits bestehenden Vorannahmen über unser Wissen in Frage gestellt werden, da sich nur auf diese Weise ein stabiles Fundament des Wissens errichten lässt. Zu diesem Zweck wendet Descartes in der ersten Meditation den methodischen Zweifel auf alle seine Überzeugungen bzgl. der Erkenntnisquellen (Wahrnehmungen, phänomenale Evidenz, rationale Einsicht) an. Er stellt also nicht alle seine Meinungen als Token in Frage, denn dies wäre viel zu aufwändig, sondern vielmehr seine Überzeugungen bzgl. der Quellen, mit deren Hilfe Meinungen über Sachverhalte in der Welt gebildet werden.
Seine methodische Vorgehensweise unterscheidet sich dabei von denen des Partikularismus und des Skeptizismus, die bis dato die grundlegenden Positionen der Erkenntnistheorie darstellten. Descartes ist kein Partikularist, weil er nicht von bestimmten, evidenten Intuitionen ausgeht, um mit ihrer Hilfe Begriffsinhalte zu klären. Im Gegenteil: Er stellt diese Intuitionen bzgl. der Erkenntnisquellen in Frage, da er sie nicht für unbezweifelbar hält. Andererseits ist Descartes auch kein Skeptiker, wie z.B. die Pyrrhonischen Skeptiker in der Antike, die lediglich feststellten, dass keine Überzeugung gewiss ist und man sich deshalb meist seines Urteils enthalten sollte. Descartes' Ziel ist hingegen konstruktiv, d.h., er nutzt den Zweifel als Mittel, um zu sicherer Erkenntnis zu gelangen und daraufhin sein Wissen über die Welt neu aufzubauen.
Um die Art des cartesisches Zweifels näher zu bestimmen, muss man zwischen begrifflicher und epistemischer Notwendigkeit unterscheiden. Die Wahrheit einer Aussage ist begrifflich notwendig, wenn sie unter keinen Umständen falsch sein kann. So ist z.B. die Aussage „Junggesellen sind unverheiratete Männer“ begrifflich notwendig wahr, weil „unverheirateter Mann“ zum Begriffinhalt von „Junggeselle“ gehört. Im Gegensatz dazu ist die Wahrheit einer Aussage epistemisch notwendig, wenn es zwingende Gründe für ihre Wahrheit gibt. Dass es für die Wahrheit der Aussage zwingende Gründe gibt, bedeutet, dass man sie nicht legitimerweise bezweifeln kann.
Diese Unterscheidung ist nun wichtig für das Verständnis des cartesischen Zweifels: Descartes muss in der ersten Meditation nicht zeigen, dass unsere Erkenntnisquellen falsche Meinungen erzeugen. Er muss lediglich zeigen, dass die Meinungen bezwefelbar sind, denn das ist aus der Perspektive eines epistemischen Wahrheitsbegriffes hinreichend dafür, dass man sie nicht für gewiss halten kann.


4. Die Argumente

Descartes stellt in der ersten Meditation nicht alle seine Überzeugungen als Token in Frage, denn das wäre rein logisch nicht möglich. Schließlich muss er, um die Rechtfertigung einer Überzeugung zu bezweifeln, eine andere Überzeugung heranziehen, aber diese könnte doch durch eine dritte Überzeugung wiederum zweifelhaft erscheinen. Es entstünde hier also ein Regress. 

Um diesen zu vermeiden, stellt Descartes lediglich die Prinzipien in Frage, auf denen die Überzeugungen basieren. Die verschiedenen Interpretationen der Mediationen unterscheiden sich anhand der Bestimmung der Prinzipien. Ein gemeinsamer Nenner der Forschung ist jedoch, dass Descartes's Zweifel sich gegen den aristotelischen Empirismus richten. Dieser behauptet, dass wir all unsere Überzeugungen und unser Wissen vermittelt durch die Sinneserfahrung erhalten.

Das erste Argument greift somit die grundlegende These des Empirismus an: Sinneswahrnehmung kann keine Quelle von Erkenntnis sein, denn sie dafür täuscht sie uns zu oft. Wenn ein Gegenstand bspw. weit entfernt, nehmen wir ihn kleiner wahr als er tatsächlich ist. 

Gegen dieses Argument wendet Descartes nun ein, dass es doch bestimmte Wahrnehmungen gibt, über die man sich nicht täuscht, so z.B. das Erleben des eigenen Körpers. Dieser Wahrnehmungen könne man sich doch dann gewiss sein. 

Diese Modifikation des Argumentes wird von der Kritik unterschiedlich interpretiert: Einige deuten sie als Bedingung, dass Descartes sich nur noch Warhnehmungen unter Optimalbedingungen beziehe.
Diese Interpretation finde ich aber nicht plausibel, denn sie wird nicht durch Descartes' weitere Ausführungen gestützt. Er meint nämlich, dass sich nur Verrückte über die eigene Körperwahrnehmung täuschen. Wenn es hier also um Wahrnehmung unter Optimalbedingugnen ginge, müsste Descartes behaupten, dass sich nur Verrückte bzgl. der Wahrnehmung unter solchen Konditionen irren. 

Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein: Auch wenn die Lichtverhältnisse perfekt sind, erkennen wir die Linien der Müller-Lyer-Illusion nicht als parallel. Folglich müssten wir alle in diesem Moment als verrückt gelten, was jedoch nicht zutreffend ist. 
Somit ist zu überlegen, ob Descartes mit seinem Beispiel nicht auf einen anderen Aspekt der Körperwahrnehmung anspielt, nämlich ihren phänomenalen Charakter. Es fühlt sich irgendwie an, einen Körper zu haben, und wer diese Empfindung verliert oder gar nicht erleben kann, wird tatsächlich als "verrückt" angesehen, bzw. man unterstellt der Person eine neurologische Störung. Trifft diese Interpretation zu, modifiziert Descartes das Argument nicht dahingehend, dass man unter Optimalbedingungen seiner Wahrnehmung vertrauen kann, sondern er behauptet, dass Wahrnehmungen mit einem bestimmten phänomenalen Charakter zuverlässig sind. 

Die Deutung des Traum-Argumentes hängt wiederum von der Interpretation dieser Modifikation ab. Descartes führt hier an, dass sich träumen und wachen manchmal nicht voneinander unterscheiden lassen. Formalisiert lässt sich das Argument folgendermaßen darstellen: 

P1. I sometimes have vivid dreams that are qualitatively like my best waking experiences. 
P2. If I sometimes have vivid dreams that are qualitatively like my best waking exeriences, then I cannot distinguish with certainty between my best perceptions and vivid dreams. 
K1. I cannot distinguish with certainty between my best perceptions and vivid dreams. 
P3. if I cannot distinguish with certainty between my best perceptions and vivid dreams, then even my best perceptions provide no certainty. 
K2. Even my perceptions provide no certainty.

Das Argument besagt also, dass man durch Wahrnehmung keine Erkenntnis erlangen kann, weil man sie nicht mit Gewissheit von Träumen unterscheiden kann.

Williams und andere interpretieren dieses Argument als Generalisierung der Kritik an der Sinneswahrnehmung: Bei dieser kann man auf die Bedingungen reflektieren und dadurch fehlerhafte Wahrnehmung erkennen. Das Traum-Argument zeigt nun, dass diese Reflexion nicht zu Erkenntnis führt: Denn auch wenn man die Konditionen der Wahrnehmung in Betracht zieht, kann man dadurch nicht wissen, ob man nicht gerade träumt. Folglich macht das Traum-Argument deutlich, dass man allein auf der Grundlage von Wahrnehmung keine gewisse Erkenntnis erreichen kann.

Diese Interpretation erscheint nicht unplausibel, allerdings liest sie meiner Meinung nach die erste Prämisse zu stark und lässt das Traum-Argument kontraintuitiv erscheinen.
Ich weiß nicht genau, wie es sich bei anderen Menschen verhält, aber meine Träume unterscheiden sich inhaltlich sehr stark von meinen Erfahrungen im Wachen. Im Traum kann ich fliegen und kämpfe todesmutig mit irgendwelchen Monstern. Außerdem entbehren die Kausaverhältnisse in meinen Träumen jeglicher Nachvollziehbarkeit.
Meine Träume und meine Erfahrung im Wachen sind sich jedoch qualitativ ähnlich in dem Sinne, dass ich sie in dem jeweiligen Moment für "real" halte. So beende ich nicht einfach den Kampf gegen ein Monster, weil ich ihm seine Existenz abspreche. Und selbst wenn, das Monster würde dann wohl nicht einfach verschwinden.
In diesem Sinne sollte man meiner Meinung nach auch die erste Prämisse des Traum-Argumentes verstehen: Träumen und Wachen ähnlich sich qualitativ, weil sie sich gleich anfühlen, aber nicht notwendig auch inhaltlich.
Descartes bemerkt ebenfalls, dass ich im Traum noch "viel Unglaublicheres" erlebe als im Wachen. Somit kann er mit diesem Argument nicht sagen wollen, dass ich meine Träume nicht von meinem Erleben im Wachen unterscheiden kann. Meiner Auffassung nach wollte er damit vielmehr behaupten, dass man sie qualitativ nicht unterscheiden kann.
Das Traum-Argument richtet sich dann unmittelbar gegen die oben formulierte Modifikation des ersten Argumentes. Dort word behauptet, dass man Körperwahrnehmungen zuverlässig sind, weil sie einen bestimmten phänomenalen Charakter aufweisen. Das Traum-Argument bestreitet dies nun, weil wir ein solches phänomenales Erleben auch im Traum verspüren und es somit kein Indikator für veridische Wahrnehmung sein kann.

Gegen das Traum-Argument bringt Descartes den EInwand vor, dass die Gehalte des Traumes aus Konstituenten bestünden, die ein Vorbild in der Realität haben müssten. So sind Körper im Traum ebenfalls ausgedehnt. Weiterhin müssen doch basale mathematische Operationen auch im Traum korrekt ausgeführt werden können.
Die Gehalt der Träume weisen nach Descartes also bestimmte formale EIgenschaften auf, die nicht wiederum das Produkt unseres Geistes sein können. Denn es nicht bspw. nicht vorstellbar, wie Körper anders als ausgedehnt sein könnten. (Hier stellt sich jedoch die Frage, ob der Einwand zwingend ist: Nur weil etwas begrifflich notwendig sein, heißt das nicht, dass es auch existent ist.)

An dieser Stelle bringt Descartes nun den stärksten Zweifel vor. Da sehr viele Menschen an einen allmächtigen Gott glauben, ist es vorstellbar, dass dieser uns in unseren Vorstellungen und geistigen Prozessen ständig betrügt.
Dabei ist die Allmacht des Dämons keine notwendige Bedingung für das Argument: Nach Descartes ist es auch vorstellbar, dass wir die Geschöpfe eines nicht allmächtigen Schöpfers sind. Unter dieser Bedingung ist es ebenfalls vorstellbar, dass wir uns ständig täuschen, denn wer sollte die Korrektheit unserer Schlüsse gewährleisten? Folglich besteht das grundlegende Problem des Dämon–Argumentes darin, dass wir die korrekte Funktionsweise unserer mentalen Prozesse allein durch Introspektion nicht überprüfen können, da sich die Introspektion immer nur auf bereits erzeugte Vorstellungen bezieht. Dementsprechend kann sie nicht feststellen, ob die ihnen zu Grunde liegenden Prozesse fehlerhaft sind. Dadurch werden aber die Überzeugungen, die auf diesen Vorstellungen basieren, zweifelhaft, auch wenn ihr Gehalt lediglich formale Inhalte darstellt.

Das Dämon- Argument ist von der Kritik gemeinhin so verstanden worden; die Interpretationen unterscheiden sich lediglich dahingehend, wie es mit den ersten beiden Argumenten in Verbindung steht.
Zunächst einmal ist es fraglich, warum Descartes mathematisches Wissen hier überhaupt anführt, da es seiner Meinung nach nicht empirisch ist.
Einige sehen dies als Zeichen dafür, dass Descartes hier nicht seine eigene Position vertritt, sondern die eines Empiristen.
Stimmt man dieser Deutung zu, stellt sich weiterhin die Frage, inwiefern mit diesem Argument der Empirismus weiter unterminiert wird als dies bereits beim Traum-Argument der Fall ist.
Nach Williams zeigt das Traum-Argument lediglich die allumfassende Möglichkeit der Täuschung, aber diese impliziert nicht die Möglichkeit der allumfassenden Täuschung. Letztere wird erst durch das Dämon-Argument ins Spiel gebracht. Bei den vorigen Argumenten können wir uns nämlich immer auf bestimmte Überzeugungen stützen, um die Argumente zu kritisieren. Dies ist beim Dämon-Argument nicht möglich, da die mentalen Zustände in ihrer Gesamtheit in Frage gestellt werden.

Diese Interpretation erscheint an sich plausibel, dennoch wirkt das Dämon-Argument ihr zu Folge etwas deplatziert. Die ersten beiden Argumente bauen den traditionellen Interpretationen aufeinander auf und steigern die Intensität des Zweifels. Das letzte Argument stellt eibenfalls eine solche Steigerung dar, aber es basiert nicht auf den vorigen. Dadurch erscheint die traditionelle Interpretation nicht sachlich falsch, aber wenig elegant.
Eine elegantere Alternative wäre meiner Meinung nach zu behaupten, dass Descartes in der ersten Meditation unterschiedliche Aspekte des Gehaltes untersucht. Nach dieser Auslegung kritisiert jedes Argument einen bestimmten Aspekt von mentalem Gehalt und macht damit deutlich, dass keiner dieser für die Wahrheit des Gehaltes garantiert.
Das erste Argument fragt ganz allgemein nach dem empirischen Gehalt von Wahrnehmungen, während sich das zweite auf den phänomenalen Gehalt fokussiert. Der Dämon-Einwand stellt wiederum den a priori bzw. begrifflichen Gehalt in Frage, d.h. Gehalt, der ohne Erfahrung präsent sein kann.


Sonntag, 12. August 2012

Chisholm

Chisholms "Intentional Inexistence" beschäftigt sich mit Intentionalität aus sprachanalytischer Perspektive, d.h. er vertritt die These, dass man Intentionalität auf sprachliche Aspekte reduzieren kann. Deshalb untersucht er die Verwendung von intentionalen Prädikaten.

Laut SEP reduziert Chisholm Intentionalität damit auf Intensionalität. Was ist Intensionalität?
Man definiert sie in Abgrenzung zu Extensionalität, die wiederum zwei Bedingungen erfüllt.

1. In extensionalen Kontexten kann man zwei koreferentielle Ausdrücke wahrheitswerterhaltend ersetzen. Z.B.
a. Hesperus shines
b. Phosphorus shines.
Da sich beide Sätze auf denselben Planeten beziehen, kann man die Ausdrücke gegeneinander austauschen und der Satz bleib dennoch wahr, wenn er wahr ist.

2. Man kann in beiden Sätzen auf die Existenz der Referenten schließen.
Denn wenn man behauptet, dass etwas leuchtet, muss vorausgesetzt werden, dass es dieses Etwas auch gibt.

Intensionale Kontexte unterscheiden sich in diesen beiden Aspekten von extensionalen:
c. Ava believes that Hesperus is shining.
d. Ava believes that Phosphorus is shining.
Hier ist es nicht der Fall, dass man Hesperus und Phosphorus miteinander vertauschen könnte und der Satz bliebe notwendig wahr. Denn es ist möglich, dass Ava den Planeten unter dem Namen "Hesperus", aber nicht unter seinem anderen Namen kennen.
Genauso kann man von Avas Überzeugung nicht darauf schließen, dass es den jeweiligen Referenten auch gibt. Schließlich könnte Ava unter Wahnvorstellungen leiden und sich den Planeten nur ausgedacht haben. Vgl. SEP

Chisholm meint also, dass man Intentionalität auf Intensionalität reduzieren kann, d.h. dass man durch die Analyse der intensionalen Kontexte Intentionalität wesentlich erfasst. Konkret vertritt er zwei Behauptungen: 
C1: Wenn etwas intentionaler Natur ist, dann muss es mit Hilfe von intensionalen Sätzen beschrieben werden.
C2: Wenn etwas nicht-intentionaler Natur ist, dann muss es nicht mit intensionalen Sätzen beschrieben werden.
C2 bedeutet, dass man physische Sachverhalte mit intensionalen Sätzen beschreiben kann, dies aber nicht zwingend ist. So kann man seinem Computer unterstellen, dass er spinne, aber wenn man über das entsprechende Vokabular verfügt, kann man diesen Sachverhalte auch nicht mit intensionalen Prädikaten beschreiben. Bei Sätzen wie c und d ist diese alternative Beschreibung nach Chisholm nicht möglich.

Chisholm formuliert drei Kriterien zur Bestimmung intensionaler Sätze:
1. Wenn der intensionale Satz einen singulären Term enthält, kann man nicht darauf schließen, dass der Referent des Terms auch existiert.
2. Die Ersetzung singulärer Terme in intensionalen Sätzen ist nicht wahrheitswerterhaltend.
3, Wenn der intensionale Satz einen "dass-Satz" enthält, kann nicht auf die Wahrheit der Proposition des "dass-Satzes" geschlossen werden.
Gleichermaßen kann man in allen drei Fällen aus der Negation der Sätze nicht auf die Falschheit/Nicht-Existenz des Referenten geschlossen werden.

Hier kann man natürlich einwenden, dass die dritte Bedingung nicht für faktive Verben gilt. Denn wenn jemand weiß, dass London die Hauptstadt von England ist, dann impliziert das die Wahrheit des Sachverhaltes, denn wissen kann man nur Tatsachen.
Deshalb formuliert Chisholm die Bedingung auch im Hinblick auf die Negation intensionaler Sätze: Wenn jemand wiederum nicht weiß, dass London in England liegt, kann man daraus nicht den Schluss ziehen, dass es sich nicht dort befindet.

Weiterhin kann man gegen Chisholms Strategie einwenden, dass es intensionale Sätze gibt, die sich nicht auf intentionale Phänomene beziehen. So impliziert die Wahrheit von Sätzen wie e nicht die Wahrheit von f.
e. It is a natural law that all Ps are Q.
f. It is a natural law that all Ps are R.
Denn Naturgesetze gelten immer nur unter bestimmten Bedingungen und weil diese in manchen Fällen nicht erfüllt sind, kann man von e nicht auf f schließen. Damit wäre Intensionalität nicht mehr hinreichend für Intentionalität und Chisholms Ansatz wäre nicht geeignet, um Brentanos Probleme zu lösen.

Zusätzlich könnte man dafür argumentieren, dass intensionale Sätze auch nicht notwendig sind, um Intentionalität zu erfassen. Denn intentionale Zustände könnten als Ursachen von Verhalten relational beschrieben werden, so z.B. als die Ursache des Verhaltens von xy. Dadurch müsste man prima facie nicht auf intentionale Prädikate zurückgreifen.
Hier stellt sich jedoch die Frage, ob diese Individuation feinkörnig genug ist, da bestimmte Verhaltensweisen durch unterschiedliche mentalen Zustände ausgelöst werden können.

Chisholm selbst untersucht diesen Einwand anhand von Ayers Vorschlag, dass man Intentionalität auf Sprachverhalten reduzieren könne. Nach Ayer kann man "denken" folgendermaßen definieren:
"A man is thinking of a unicorn if the man is disposed to use symbols which designate unicorns."
Nach Chisholm verschiebt er dadurch das Problem nur, da es sich bei "designate" ebenfalls um ein intensionales Prädikat handelt.
Man könnte nun versuchen, "designieren" mit Hilfe von "Intension" behavioristisch zu reformulieren, wie z.B. der Vorschlag von Caranap:
" The intension of a predicate Q for a speaker X is the general condition which an object must fulfill in order for x to be willing to ascribe the predicate Q to v."
Nach Chisholm kann diese Definition  Fehlbezeichnungen nicht integrieren. Denn wenn man "Fuchs" für Hund sagt, muss der Fuchs die Bedingungen der Zuschreibungen erfüllen. Damit hätte man aber nicht nur die Intension von "Fuchs"; sondern die von "Fuchs oder Hund" bestimmt, was nach Chisholm zu weit ist.

Anschließend betrachtet Chisholm zwei weitere Reduktionsversuche:
1. Man könnte intensionale Prädikate auf "signify" reduzieren wollen. Damit müsste man behaupten, dass ein sprachliches Zeichen eine ähnliche Wirkung auf das Subjekt hat wie sein Referent. Da die intensionalen Prädikate somit nur eine Kausalrelation bezeichnen, könnte man sie durch "signify" und die physische Beschreibung vollständig ersetzen.
Hiergegen bringr Chisholm den Einwand der multiplen Realisierbarkeit vor. Denn es ist für ihn nicht klar, wie ähnlich die Wirkung des Zeichens auf das Subjekt sein muss, damit solch eine Reduktion gerechtfertigt ist.
2. Man könnte versuchen, intensionale Prädikate auf "erwarten" und die Beschreibung eines zukünftigen Zustandes zu reduzieren. "Erwarten" lässt sich wiederum als Disposition zu einem bestimmten körperlichen Zustand (Schock oder positive Verstärkung) zusammenfassen.
Hier wendet Chisholm jedoch ein, dass dieser körperliche Zustand nicht notwendig eintritt, und dies kann man nur erklären, wenn man die mentalen Zustände des Subjektes berücksichtigt. So kann man z.B. die Mutter am Bahnhof treffen, aber sie nicht erkennen. Objektiv wäre dann die Erwartung erfüllt, aber der entsprechende körperliche Zustand stellt sich nicht ein, weil andere mentale Zustände intervenieren.

Es scheint offensichtlich, dass die rein behavioristischen Reduktionsversuche nicht erfolgversprechend sind. Die funktionalistische Idee, intentionalen Zustände anhand ihrer Kausalrelationen zu individuieren, passt eineseits gut in ein physikalistisches Weltbild. Andererseits muss man überlegen, ob Kausalität feinkörnig genug für semantische Relationen ist. Das wird im Hinblick auf die Naturalisierung intentionaler Zustände noch näher untersucht. 

  SEP = Jacob, Pierre, "Intentionality", The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2010 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <http://plato.stanford.edu/archives/fall2010/entries/intentionality/>.

Dienstag, 7. August 2012

Husserl

Husserls zweites Kapitel "Bewusstsein als psychischer Akt" ist u.a. eine Replik auf Brentanos Theorie der Intentionalität. Das Ziel von Husserls Ausführungen besteht jedoch nicht darin, eine Definition von "Mentalität" zu entwickeln, da er vielmehr im Rahmen seiner phänomenologischen Ausrichtung das subjektive Erleben der Intentionalität erst einmal beschreiben möchte.

Husserl grenzt sich zunächst von Brentanos Terminologe ab, denn Intentionalität ist seiner Aufassung nach nicht als Relatin zwischen einem Bewusstsein und einem Objekt zu verstehen.
Konkret kritisiert er zwei Aspekte:
1. Ein mentaler Zustand ist nicht als Gefäß zu verstehen, das Gegenstände enthält.  Damit lehnt er den Begriff der "immanenten Gegenständlichkeit", da seiner Theorie zu Folge der Akt nicht unabhängig vom Gegenstand zu denken ist. Nach Husser gibt es nur ein intentionales Erlebnis, dass sich anhand mit Hilfe der Terminologie "Intention" und "Gegenstand" beschreiben lässt. Diese setzen jedoch keine Existenzbehauptung voraus.
Nach Husserl bezieht man sich intentional nicht auf Gegenstände, sondern lediglich auf Vorstellungen von diesen, weshalb die Objekte nicht real existent sein müssen. Auf diese Vorstellungen selbst kann man sich jedoch nicht intentional beziehen, weshalb das Bewusstsein hier gegenüber sich selbst transparent ist und folglich die Gegenstände als real existent erscheinen.
2. Intentionalität ist keine reelle Aktion des Bewusstseins, das sich auf ein Objekt richtet. Nach Husserl bei bei nicht-reflektierten mentalen Zuständen die Relation zwischen Bewusstsein und Gegenständ gar nicht bewusst: man erlebt die Außenwelt und handelt innerhalb dieser ohne sich dabei ständig als von ihr separiertes Subjekt zu erleben.
Erst durch die Reflexion wird eine solche Subjet/Objekt- Spaltung konstituiert. Das Subjekt bzw. Ich ist dabei nach Husserl lediglich eine nicht-substantiellen Projektion: Ihm werden keine spezifischen Eigenschaften zugeschrieben; es handelt sich vielmehr um einen Fixpunkt, auf den die unterschiedlichen Erlebnisse ausgerichtet werden.

Husserl teilt ebenfalls nicht Brentanos Einschätzung, dass alle mentalen Zustände intentional seien. Er lehnt dies für Empfindungen wie Schmerzen usw. ab.
Dazu muss man Husserls Idealismus näher erlätuern:Husserl unterscheidet grundlegend zwischen Empfinden und Wahrnehmen. Wahrnehmungen sind dabei Internpretationen von Empfindungen, die letztere verändern. (Insofern können scích Wahrnehmungen auch nicht direkt auf ein intentionales Objekt beziehen.)
Wenn man z.B. einen Tisch betrachtet, hat man viele Empfindungen und die Verbindung dieser zu der Wahrnehmung eines Gegenstandes ist nach Husserl eine Interpretation.
Diese Interpretation weist dabei einen bestimmten Charakter auf, ihre Intention. Diese bringt die unterschiedlichen Empfindungen unter einen Begriff, weshalb Wahrnehmung nach Husserl begrifflich und intentional sind, Empfindungen jedoch nicht.
Dementsprechend unterteilt Husserl affektive Zustände in zwei Klassen: Gefühle bzw. Emotionen weisen Intentionalität auf, weil sie sich auf Empfindungen beziehen und deren Gehalte bewerten und damit unter einen Begriff wie z.B. "Furcht" bringen.

Hier könnte man natürlich einwenden, dass man die Empfindungen auch lediglich als Ursache der Gefühle verstehen kann und ihre Beziehung demnach nicht intentional sein muss.
Nach Husserl unterscheidet sich diese Art Relation jedoch von einer kausalen, weil man bei ersterer die Relata nicht unabhängig voneinander denken kann. Dies ist aber bei Ursache und Wirkung der Fall.

Empfindungen sind Husserl zu Folge rein körperliche Zustände, denn sie enthalten keinen intentionale Gehalt. Am Beispiel "Schmerz" lässt sich das verdeutlichen: Schmerzen verweisen eher unspezifisch auf den Zustand des Körpers. Da es unterschiedliche Art von Schmerzen gibt, die sich alle darauf beziehen, kann man diesen Gehalt nicht als intentionalen Gegenstand bezeichnen. Nach Husserl ist der Gehalt zu grobkörnig, als dass man hier von einer intentionalen Beziehung ausgehen könnte.
Damit verpflichtet sich Husserl jedoch auf die Annahme, dass eine gewisse Feinkörnigkeit des Gehaltes notwendig für Intentionalität ist. Aber kann man nicht auch sehr vage Überzeugungen haben, die dennoch als intentional gelten? Wenn man z.B. über Gott nachdenkt, haben die wenigsten Menschen eine konkrete Vorstellung von einem alten Mann mit einem weißen Rauschebart. Trotzdem würde man diesen Überzeugungen nicht ihre Intentionalität absprechen.
Mit dieser Annahme führt Husserl somit das Problem der nicht-existenten Referenten wieder ein, was er durch seinen Idealismus eigentlich gelöst haben wollte. WIe oben bereits erlätuert, beziehen wir uns intentional nicht auf die Welt, sondern nur auf Vorstellungen von dieser. Dadurch kann Husserl leicht erklären, warum wir über Einhörner nachdenken könne, auch wenn diese nicht existieren. WIr referieren dabei lediglich auf unsere Vorstellungen und fügen diese zur Wahrnehmung eines Einhorns zusammen. Im Falle der Wahrnehmung eines Einhorns ist es dann wahrscheinlich zu einem Fehler innerhalb der Interpretation gekommen.
Im Hinblick auf Schmerzen müsste Husserl nun behaupten, dass die Wahrnehmung der Empfindungen kein hinreichend konkretes intentionales Objekt erzeugen kann, weshalb man diesen Zuständen keine Intentionalität zusprechen kann. Doch hier stellt sich die Frage, was diesen Fall von dem des Einhorns unterscheidet. In welcher Hinsicht ist diese Wahrnehmung feinkörniger und warum sollte dies als Kriterium für Intentionalität gelten?




Brentano

Das Ziel von Brentanos zweitem Kapitel besteht darin, ein hinreichendes und notwendiges Kriterium zu bestimmen, da psychische Phänomene von physischen abgrenzt und dadurch "Mentalität" definiert. Was unterscheidet ein Wesen mit einem Geist von einem vielleicht sehr komplexen Automaten?
Nach Brentano kann dieses Kriterium allein die Intentionalität mentaler Zustände sein

"Intentionalität" bezeichnet die Eigenschaft psychischer Phänomene, auf Objekte gerichtet zu sein. Die Objekte weisen somit eine "immanente Gegenständlichkeit" auf, was bedeutet, dass sie in dem mentalen Zustand "enthalten" sind.
Und was soll wiederum heißen? Wenn man z.B. seine visuelle Wahrnehmung der Außenwelt beobachtet, stellt man fest, dass man nicht die Gegenstände "an sich" erfasst; sie sind vielmehr immer an das Medium "Wahrnehmung" gebunden und in diesem Sinne auch in ihm "enthalten".

Das Kriterium der Intentionalität erscheint intuitiv nicht unplausibel, denn unser Denken und Fühlen richtet sich auf Objekte und Sachverhalte in der Welt. Selbst wenn wir unser eigenes Denken zum Thema unserer Gedanken machen, beziehen wir uns damit auf ein Objekt- eben das Denken. Was könnte man nun gegen dieses Kriterium einwenden?
Nach Brentano behaupten einige Philosophen, wie z.B. Hamilton, dass Empfindungen nicht intentional sind. Der Gehalt bzw. das Objekt von Schmerzen besteht nicht in dem Verweis auf die beschädigte Körperregion, dazu sind Schmerzen meist viel zu diffus. Wenn man sich im Verlauf einer Schmerzempfindung die Zeit nimmt, auf dessen Qualität zu reflektieren, wird man wahrscheinlich bemerken, dass sich der Gehalt nur sehr schwer ausmachen lässt. Jedenfalls ist er nach Meinung einiger Philosophen so wenig konkret, dass man hier von einem intentionalem "Objekt" sprechen könnte.

Brentano reagiert auf diesen Einwurf, indem er darauf verweist, dass die Objektlosigkeit des Schmerzes nur eine scheinbare ist. Das intentionale Objekt des Schmerzes ist intern, d.h. innerhalb des eigenes Körpers. und deshalb ist seine Existenz nicht offensichtlich.
Diese Verteidigung sucht er durch eine Analogie zu stärken: Wenn wir uns auf unsere eigenen mentalen Zustände beziehen, also darüber nachdenken, was wir gerade denken, würde man diese Bezugnahme auch als intentionalen Akt bezeichnen.
Dennoch ist es nicht so, dass der mentale Zustand im Fokus der Introspektion uns als Objekt gegenwärtig ist, d.h. dass wir ihn z.B. vor unserem geistigen Auge von allen Seiten betrachten können. Das intentionale Objekt, i.e. der mentale Zustand, ist auch in diesem Fall nicht klar umrissen, trotzdem handelt es sich nach Brentano um eine intentionale Relation.
Mit Hilfe dieser Analogie will Brentano verdeutlichen, dass es für Intentionalität nicht notwendig ist, dass das intentionale Objekt eindeutig bestimmt werden kann. Stimmt man dieser Prämisse zu, kann man auch Schmerzen und anderen Empfindungen Intentionalität zuschreiben, auch wenn ihre Objekte nicht ganz eindeutig sind.
Sollte man dieser Prämisse zustimmen? tbc

In einem zweiten Schritt wirft Brentano seinen Gegnern vor, dass sie von der Wahrnehmbarkeit mentaler Zustände auf deren Ontologie schließen, was nicht zulässig ist. Nur weil ich etwas nicht vollständig oder nur in einer bestimmten Hinsicht erkennen kann, heißt das nicht, dass dieses Etwas auch notwendig so ist.
Brentanos Opponenten gehen davon aus, dass man von den Objekten der Außenwelt nur durch Wahrnehmung weiß, man jedoch keinen epistemischen Zugang zu den Objekten an sich hat. Da wir die Objekte also nur vermittels der Wahrnehmung kennen, können wir nicht wissen, wie sie unabhängig von der Wahrnehmung sind. Wenn ich bei Schmerzen also kein intentionales Objekt wahrnehme, kann ich nicht wissen können, ob sie ein solches aufweisen.
Brentano meint wiederum: Nur weil man etwas nur durch Wahrnehmung kennt, heißt das nicht, dass man es sich nicht unabhängig von der Wahrnehmung vorstellen kann. Damit letzteres unmöglich ist, muss man voraussetzen, dass durch die Wahrnehmung alle essentiellen Eigenschaften des Objektes erfasst werden. Genau diese Behauptung lässt sich doch allein auf der Grundlage von Wahrnehmung nicht als wahr ausweisen, weshalb Brentanos Gegner sich hier in einen Widerspruch verstricken.
Also kurzum: Wenn man nicht behaupten möchte, dass alles, was wir über Schmerzen wissen können, in ihrer Wahrnehmung offenbart wird, erscheint es durchaus vorstellbar, dass auch sie intentionale Objekte aufweisen.

Da man nach Brentano also nicht ausschließen kann, dass alle psychischen Phänomene intentional sind, ist dieses Kriterium als hinreichend anzusehen. Weiterhin zeigt er in Abgrenzung zu zwei weiteren Merkmalen, dass nur  Intentionalität hinreichend für psychische Phänomene ist.

Das erste Merkmal ist die sukzessive Abfolge mentaler Zustände. Während körperliche bzw. physische Prozesse gleichzeitig ablaufen können, denken wir meist linear, so wenn wir z.B. innerlich mit uns selbst sprechen.
Nach Brentano zeigen aber sowohl sehr begabte Menschen als auch Strahlentiere die Fähigkeit, mehrere mentaler Prozesse gleichzeitig zu koordinieren.
Damit ist das Merkmal der Sukzession jedoch weder hinreichend noch notwendig für das Bestehen psychischer Phänomene. Es ist nicht hinreichend, weil sein Vorhandensein nicht dazu führt, dass genuin menschliche psychische Phänomene erzeugt werden, wie das Beispiel des Strahlentiers zeigt. Es ist auch nicht notwendig, weil wir begabten Menschen nicht ihre psychischen Phänomene absprechen, nur weil sie nicht notwendig sukzessiv denken.

Als zweites Merkmal diskutiert Brentano den Vorschlag, die Einheitlichkeit des Bewusstseins als Alleinstellungsmerkmal des Mentalen zu behaupten. Hier wendet jedoch Spencer ein, dass sich dieses nur bei äußerster Konzentration zeigt. In der alltäglichen Erfahrung lassen sich mehrere Dimensionen des Erlebens unterscheiden: So erlebt er die einzelnen Sinnesmodalitäten als sehr präsent innerhalb der Wahrnehmung und meist wird er zusätzlich von einer Melodie verfolgt.
Hier lässt sich jedoch fragen, inwieweit Spencers Beschreibung seiner Erfahrung verallgemeinerbar ist. Brentano merkt an, dass die unterschiedlichen Dimensionen erst reflexiv in den Blick geraten und man die grundlegende Einheit der Erfahrung nicht leugnen könne.
Wie auch immer man hier zu einem Konsens kommt, ist es jedoch offensichtlich, dass wir die Einheit des Bewusstseins nicht als notwendig für "Mentalität" ansehen. Denn auch wenn Spencer eine differenziertere Erlebnisweise der Welt von sich aussagt, sprechen wir ihm trotzdem nicht ab, über einen Geist zu verfügen. Folglich ist "Intentionalität" auch hier im Vergleich das stärkere Kriterium.

Brentano zeigt in diesem Kapitel also zunächst, dass Intentionalität für alle Zustände zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Weiterhin macht er deutlich, dass dieses Kriterium den anderen Vorschlägen überlegen ist, da es zumindest hinreichend für "Mentalität" ist.



Intentionalität

Was ist die Intentionalitaet des Geistes?

Die Intentionalitaet des Geistes besteht darin, sich auf seine Umwelt beziehen zu koennen. So glauben wir z.b., dass Wasser nass ist, und beziehen uns damit auf die Welt.
Was ist daran besonders, warum sollte man es untersuchen?
Die grundlegende Motivation der Untersuchung besteht darin, herauszufinden, ob Intentionalitaet ein spezieller Typ Relation ist oder ob sie auf Kausalrelationen reduzierbar ist.
Brentano z.b. unterscheidet physische und psychische Phaenomene anhand ihrer Relationen: psychische Phaenomene sind durch intentionale Relationen zu beschreiben, waehrend physische durch ihre kausalen Beziehungen bestimmt werden.
Diese Unterscheidung fuehrt Brentano zu zwei Thesen:

- Intentionalität ist notwendig für "Mentalität": Alle mentalen Zustände weisen Intentionalität auf.
- Intentionalität ist hinreichend für "Mentalität": Alles, was Intentionalität aufweist, ist auch ein mentaler Zustand.

Die erste These besagt, dass alle mentalen Zustaende intentional sein muessen, auch solche  wie z.b. Schmerzen, von denen man dies  nicht ohne Weiteres behaupten wuerde.
Weiterhin vertritt Brentano die These, dass nur mentale Zustaende intentional sein koennen, was bedeutet, dass physische Phaenomene keine Intentionalitaet aufweisen duerfen. Hier lassen sich jedoch auch z.b. Organismen denken, die sich z.b. am Sauerstoffgehalt des Wassers orientieren und sich damit intentional auf die Welt beziehen, aber dennoch moechte man ihnen  keine mentalen Zustaende zuschreiben.
In diesem Zusammenhang unterscheiden einige Autoren wie z.B. Speaks zwischen originaler und derivativer Intentionalität: Man könnte behaupten, dass nur mentale Zustände originale Intentionalität aufweisen, während wir die Operationsweise von physischen Phänomenen lediglich als intentional beschreiben, weil sie ersterer ähnelt. 

Eine weitere wichtige Charakteristik von Intentionalität ist, dass das der Objekt oder Sachverhalt, auf den sich der mentale Zustand bezieht, nicht existieren muss. So können wir über "Zeus" oder "Einhorn" nachdenken, obwohl es ihre Referenten nicht gibt. Chisholm und Tyoe bezeichnen diese Besonderheit als die "intentionale Inexistenz" von Objekten und schreiben diesen Terminus Brentano zu. Diese Zuschreibung beruht jedoch auf einer Fehlinterpretation, denn nach BRentano mein "Inexistenz", dass das Objekt innerhalb des mentalen Zustandes zu existieren scheint, was jedoch nichts über dessen Seinsweise in der Welt aussagt.