Dienstag, 28. August 2012

Descartes, 1. Meditation

Descartes' Meditationen über die erste Philosophie werden als Grundlegung der modernen Erkenntnistheorie angesehen. Die Modernität des Textes besteht darin, dass Descartes den Erkennenden selbst in das Zentrum der Untersuchung rückt und allein auf dieser Grundlage die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit zu bestimmen versucht.

Um die Argumentation der Meditationen zu verständlich zu machen, muss zunächst Descartes' grundlegende epistemische Position erklärt werden.

1. Fundamentalismus
Descartes geht davon aus, dass Wissen und Erkenntnis ein Fundament haben, d.h. dass man seine Überzeugungen so weit analysieren kann, bis man auf grundlegende trifft, die nicht weiter analysiert werden können und somit basal sind. Die basalen Überzeugungen müssen wahr sein und ihre Wahrheit (plus die korrekte Anwendung von logischen Prinzipien) garantiert die Wahrheit von komplexeren Überzeugungen. 

Offensichtlich besteht die größte Schwierigkeit dieser Position darin zu erklären, wie die grundlegenden Überzeugungen wahr sein können, wenn dies nicht durch weitere Überzeugungen begründet wird. In diesem Falle wären die Überzeugungen schließlich nicht basal.Ein wesentliches Ziel der Meditationen besteht folglich darin, dieses Problem zu lösen.

Man kann natürlich auch andere epistemische Theorie vertreten wie z.B. den Kohärentismus und den Reliabilismus.
Der Kohärentismus bestimmt die Wahrheit einer Überzeugung in ihrer Übereinstimmung mit möglichst vielen anderen Überzeugungen, die das jeweilige Subjekt vertritt. Wenn sich eine Überzeugung problemlos in unsere Theorie über einen Sachverhalt einfügen lässt, gilt sie als wahr. Hier ist natürlich fraglich, inwiefern die Übereinstimmung einer solchen Theorie mit der Welt gewährt ist. Denn schließlich kann man auch eine konsistente Theorie vertreten, die aber in ihrer Gesamtheit an der Welt vorbeigeht.
Der Reliabilismus behauptet wiederum, dass eine Überzeugung wahr ist, wenn ihr propositionaler Gehalt der Fall ist und wenn sie durch einen reliablen Prozess erworben worden ist. Ein reliabler Prozess ist z.B. die Wahrnehmung, die in der Mehrheit der Fälle eine zutreffende Repräsentation der Umwelt erzeugt. Für den Reliabilismus ist dabei nicht entscheidend, ob dem Subjekt die Überzeugung auch bewusst ist; Wissen wird hier folglich externalistisch definiert. Darin bestehnt wiederum eine große Schwierigkeit des Reliabilismus, denn er muss erklären können, warum z.B. die reliablen Prozesse einer Maschine kein Wissen erzeugen, d.h. inwiefern der Aspekt der Reliabilität für die Produktion von Wissen überhaupt relevant ist.

2. Internalismus
Descartes geht davon aus, dass die Grundlagen des Wissens bzw. der Erkenntnis nur aus der Perspektive des Subjekts bestimmt werden können. Sie hängen also davon ab, wie das Subjekt intern konstituiert ist.
Der Internalismus behauptet, dass die Rechtfertigung einer Überzeugung dem Subjekt zugänglich sein muss. Bei Descartes werden Überzeugungen durch Vorstellungen gerechtfertigt, weshalb man introspektiven Zugang zu diesen haben muss.

Im Gegensatz dazu behauptet ein Externalist, dass die Rechtfertigung für das Subjekt selbst nicht verfügbar sein muss; sie muss lediglich objektiv erkennbar sein. Wenn man bspw. ein externalistischer Reliabilist ist, geht man davon aus, dass Überzeugungen durch Wahrnehmungen gerechtfertigt werden können. Da Wahrnehmungen im Allgemeinen durch reliable Prozesse hervorgebracht werden, gelten sie als Rechtfertigung, auch wenn sich das Subjekt ihrer nicht bewusst ist.
3. Methodologie

Das Ziel von Descartes' Untersuchung besteht in einem erkenntnistheoretischen Fundamentalismus, d.h., er möchte eine unbezweifelbare Grundlage des Wissens finden, von der aus er zu weiteren gesicherten Erkenntnissen gelangen kann.
Sein methodisches Vorbild ist dabei Eukids Geometrie, denn diese basiert auf einfachen logischen Prinzipien (z.B. dem der Transitivität) und generiert durch ihre Kombination ein umfassendes mathematisches Wissen. Im Unterschied zur Mathematik müssen jedoch in der Philosophie zuerst alle bereits bestehenden Vorannahmen über unser Wissen in Frage gestellt werden, da sich nur auf diese Weise ein stabiles Fundament des Wissens errichten lässt. Zu diesem Zweck wendet Descartes in der ersten Meditation den methodischen Zweifel auf alle seine Überzeugungen bzgl. der Erkenntnisquellen (Wahrnehmungen, phänomenale Evidenz, rationale Einsicht) an. Er stellt also nicht alle seine Meinungen als Token in Frage, denn dies wäre viel zu aufwändig, sondern vielmehr seine Überzeugungen bzgl. der Quellen, mit deren Hilfe Meinungen über Sachverhalte in der Welt gebildet werden.
Seine methodische Vorgehensweise unterscheidet sich dabei von denen des Partikularismus und des Skeptizismus, die bis dato die grundlegenden Positionen der Erkenntnistheorie darstellten. Descartes ist kein Partikularist, weil er nicht von bestimmten, evidenten Intuitionen ausgeht, um mit ihrer Hilfe Begriffsinhalte zu klären. Im Gegenteil: Er stellt diese Intuitionen bzgl. der Erkenntnisquellen in Frage, da er sie nicht für unbezweifelbar hält. Andererseits ist Descartes auch kein Skeptiker, wie z.B. die Pyrrhonischen Skeptiker in der Antike, die lediglich feststellten, dass keine Überzeugung gewiss ist und man sich deshalb meist seines Urteils enthalten sollte. Descartes' Ziel ist hingegen konstruktiv, d.h., er nutzt den Zweifel als Mittel, um zu sicherer Erkenntnis zu gelangen und daraufhin sein Wissen über die Welt neu aufzubauen.
Um die Art des cartesisches Zweifels näher zu bestimmen, muss man zwischen begrifflicher und epistemischer Notwendigkeit unterscheiden. Die Wahrheit einer Aussage ist begrifflich notwendig, wenn sie unter keinen Umständen falsch sein kann. So ist z.B. die Aussage „Junggesellen sind unverheiratete Männer“ begrifflich notwendig wahr, weil „unverheirateter Mann“ zum Begriffinhalt von „Junggeselle“ gehört. Im Gegensatz dazu ist die Wahrheit einer Aussage epistemisch notwendig, wenn es zwingende Gründe für ihre Wahrheit gibt. Dass es für die Wahrheit der Aussage zwingende Gründe gibt, bedeutet, dass man sie nicht legitimerweise bezweifeln kann.
Diese Unterscheidung ist nun wichtig für das Verständnis des cartesischen Zweifels: Descartes muss in der ersten Meditation nicht zeigen, dass unsere Erkenntnisquellen falsche Meinungen erzeugen. Er muss lediglich zeigen, dass die Meinungen bezwefelbar sind, denn das ist aus der Perspektive eines epistemischen Wahrheitsbegriffes hinreichend dafür, dass man sie nicht für gewiss halten kann.


4. Die Argumente

Descartes stellt in der ersten Meditation nicht alle seine Überzeugungen als Token in Frage, denn das wäre rein logisch nicht möglich. Schließlich muss er, um die Rechtfertigung einer Überzeugung zu bezweifeln, eine andere Überzeugung heranziehen, aber diese könnte doch durch eine dritte Überzeugung wiederum zweifelhaft erscheinen. Es entstünde hier also ein Regress. 

Um diesen zu vermeiden, stellt Descartes lediglich die Prinzipien in Frage, auf denen die Überzeugungen basieren. Die verschiedenen Interpretationen der Mediationen unterscheiden sich anhand der Bestimmung der Prinzipien. Ein gemeinsamer Nenner der Forschung ist jedoch, dass Descartes's Zweifel sich gegen den aristotelischen Empirismus richten. Dieser behauptet, dass wir all unsere Überzeugungen und unser Wissen vermittelt durch die Sinneserfahrung erhalten.

Das erste Argument greift somit die grundlegende These des Empirismus an: Sinneswahrnehmung kann keine Quelle von Erkenntnis sein, denn sie dafür täuscht sie uns zu oft. Wenn ein Gegenstand bspw. weit entfernt, nehmen wir ihn kleiner wahr als er tatsächlich ist. 

Gegen dieses Argument wendet Descartes nun ein, dass es doch bestimmte Wahrnehmungen gibt, über die man sich nicht täuscht, so z.B. das Erleben des eigenen Körpers. Dieser Wahrnehmungen könne man sich doch dann gewiss sein. 

Diese Modifikation des Argumentes wird von der Kritik unterschiedlich interpretiert: Einige deuten sie als Bedingung, dass Descartes sich nur noch Warhnehmungen unter Optimalbedingungen beziehe.
Diese Interpretation finde ich aber nicht plausibel, denn sie wird nicht durch Descartes' weitere Ausführungen gestützt. Er meint nämlich, dass sich nur Verrückte über die eigene Körperwahrnehmung täuschen. Wenn es hier also um Wahrnehmung unter Optimalbedingugnen ginge, müsste Descartes behaupten, dass sich nur Verrückte bzgl. der Wahrnehmung unter solchen Konditionen irren. 

Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein: Auch wenn die Lichtverhältnisse perfekt sind, erkennen wir die Linien der Müller-Lyer-Illusion nicht als parallel. Folglich müssten wir alle in diesem Moment als verrückt gelten, was jedoch nicht zutreffend ist. 
Somit ist zu überlegen, ob Descartes mit seinem Beispiel nicht auf einen anderen Aspekt der Körperwahrnehmung anspielt, nämlich ihren phänomenalen Charakter. Es fühlt sich irgendwie an, einen Körper zu haben, und wer diese Empfindung verliert oder gar nicht erleben kann, wird tatsächlich als "verrückt" angesehen, bzw. man unterstellt der Person eine neurologische Störung. Trifft diese Interpretation zu, modifiziert Descartes das Argument nicht dahingehend, dass man unter Optimalbedingungen seiner Wahrnehmung vertrauen kann, sondern er behauptet, dass Wahrnehmungen mit einem bestimmten phänomenalen Charakter zuverlässig sind. 

Die Deutung des Traum-Argumentes hängt wiederum von der Interpretation dieser Modifikation ab. Descartes führt hier an, dass sich träumen und wachen manchmal nicht voneinander unterscheiden lassen. Formalisiert lässt sich das Argument folgendermaßen darstellen: 

P1. I sometimes have vivid dreams that are qualitatively like my best waking experiences. 
P2. If I sometimes have vivid dreams that are qualitatively like my best waking exeriences, then I cannot distinguish with certainty between my best perceptions and vivid dreams. 
K1. I cannot distinguish with certainty between my best perceptions and vivid dreams. 
P3. if I cannot distinguish with certainty between my best perceptions and vivid dreams, then even my best perceptions provide no certainty. 
K2. Even my perceptions provide no certainty.

Das Argument besagt also, dass man durch Wahrnehmung keine Erkenntnis erlangen kann, weil man sie nicht mit Gewissheit von Träumen unterscheiden kann.

Williams und andere interpretieren dieses Argument als Generalisierung der Kritik an der Sinneswahrnehmung: Bei dieser kann man auf die Bedingungen reflektieren und dadurch fehlerhafte Wahrnehmung erkennen. Das Traum-Argument zeigt nun, dass diese Reflexion nicht zu Erkenntnis führt: Denn auch wenn man die Konditionen der Wahrnehmung in Betracht zieht, kann man dadurch nicht wissen, ob man nicht gerade träumt. Folglich macht das Traum-Argument deutlich, dass man allein auf der Grundlage von Wahrnehmung keine gewisse Erkenntnis erreichen kann.

Diese Interpretation erscheint nicht unplausibel, allerdings liest sie meiner Meinung nach die erste Prämisse zu stark und lässt das Traum-Argument kontraintuitiv erscheinen.
Ich weiß nicht genau, wie es sich bei anderen Menschen verhält, aber meine Träume unterscheiden sich inhaltlich sehr stark von meinen Erfahrungen im Wachen. Im Traum kann ich fliegen und kämpfe todesmutig mit irgendwelchen Monstern. Außerdem entbehren die Kausaverhältnisse in meinen Träumen jeglicher Nachvollziehbarkeit.
Meine Träume und meine Erfahrung im Wachen sind sich jedoch qualitativ ähnlich in dem Sinne, dass ich sie in dem jeweiligen Moment für "real" halte. So beende ich nicht einfach den Kampf gegen ein Monster, weil ich ihm seine Existenz abspreche. Und selbst wenn, das Monster würde dann wohl nicht einfach verschwinden.
In diesem Sinne sollte man meiner Meinung nach auch die erste Prämisse des Traum-Argumentes verstehen: Träumen und Wachen ähnlich sich qualitativ, weil sie sich gleich anfühlen, aber nicht notwendig auch inhaltlich.
Descartes bemerkt ebenfalls, dass ich im Traum noch "viel Unglaublicheres" erlebe als im Wachen. Somit kann er mit diesem Argument nicht sagen wollen, dass ich meine Träume nicht von meinem Erleben im Wachen unterscheiden kann. Meiner Auffassung nach wollte er damit vielmehr behaupten, dass man sie qualitativ nicht unterscheiden kann.
Das Traum-Argument richtet sich dann unmittelbar gegen die oben formulierte Modifikation des ersten Argumentes. Dort word behauptet, dass man Körperwahrnehmungen zuverlässig sind, weil sie einen bestimmten phänomenalen Charakter aufweisen. Das Traum-Argument bestreitet dies nun, weil wir ein solches phänomenales Erleben auch im Traum verspüren und es somit kein Indikator für veridische Wahrnehmung sein kann.

Gegen das Traum-Argument bringt Descartes den EInwand vor, dass die Gehalte des Traumes aus Konstituenten bestünden, die ein Vorbild in der Realität haben müssten. So sind Körper im Traum ebenfalls ausgedehnt. Weiterhin müssen doch basale mathematische Operationen auch im Traum korrekt ausgeführt werden können.
Die Gehalt der Träume weisen nach Descartes also bestimmte formale EIgenschaften auf, die nicht wiederum das Produkt unseres Geistes sein können. Denn es nicht bspw. nicht vorstellbar, wie Körper anders als ausgedehnt sein könnten. (Hier stellt sich jedoch die Frage, ob der Einwand zwingend ist: Nur weil etwas begrifflich notwendig sein, heißt das nicht, dass es auch existent ist.)

An dieser Stelle bringt Descartes nun den stärksten Zweifel vor. Da sehr viele Menschen an einen allmächtigen Gott glauben, ist es vorstellbar, dass dieser uns in unseren Vorstellungen und geistigen Prozessen ständig betrügt.
Dabei ist die Allmacht des Dämons keine notwendige Bedingung für das Argument: Nach Descartes ist es auch vorstellbar, dass wir die Geschöpfe eines nicht allmächtigen Schöpfers sind. Unter dieser Bedingung ist es ebenfalls vorstellbar, dass wir uns ständig täuschen, denn wer sollte die Korrektheit unserer Schlüsse gewährleisten? Folglich besteht das grundlegende Problem des Dämon–Argumentes darin, dass wir die korrekte Funktionsweise unserer mentalen Prozesse allein durch Introspektion nicht überprüfen können, da sich die Introspektion immer nur auf bereits erzeugte Vorstellungen bezieht. Dementsprechend kann sie nicht feststellen, ob die ihnen zu Grunde liegenden Prozesse fehlerhaft sind. Dadurch werden aber die Überzeugungen, die auf diesen Vorstellungen basieren, zweifelhaft, auch wenn ihr Gehalt lediglich formale Inhalte darstellt.

Das Dämon- Argument ist von der Kritik gemeinhin so verstanden worden; die Interpretationen unterscheiden sich lediglich dahingehend, wie es mit den ersten beiden Argumenten in Verbindung steht.
Zunächst einmal ist es fraglich, warum Descartes mathematisches Wissen hier überhaupt anführt, da es seiner Meinung nach nicht empirisch ist.
Einige sehen dies als Zeichen dafür, dass Descartes hier nicht seine eigene Position vertritt, sondern die eines Empiristen.
Stimmt man dieser Deutung zu, stellt sich weiterhin die Frage, inwiefern mit diesem Argument der Empirismus weiter unterminiert wird als dies bereits beim Traum-Argument der Fall ist.
Nach Williams zeigt das Traum-Argument lediglich die allumfassende Möglichkeit der Täuschung, aber diese impliziert nicht die Möglichkeit der allumfassenden Täuschung. Letztere wird erst durch das Dämon-Argument ins Spiel gebracht. Bei den vorigen Argumenten können wir uns nämlich immer auf bestimmte Überzeugungen stützen, um die Argumente zu kritisieren. Dies ist beim Dämon-Argument nicht möglich, da die mentalen Zustände in ihrer Gesamtheit in Frage gestellt werden.

Diese Interpretation erscheint an sich plausibel, dennoch wirkt das Dämon-Argument ihr zu Folge etwas deplatziert. Die ersten beiden Argumente bauen den traditionellen Interpretationen aufeinander auf und steigern die Intensität des Zweifels. Das letzte Argument stellt eibenfalls eine solche Steigerung dar, aber es basiert nicht auf den vorigen. Dadurch erscheint die traditionelle Interpretation nicht sachlich falsch, aber wenig elegant.
Eine elegantere Alternative wäre meiner Meinung nach zu behaupten, dass Descartes in der ersten Meditation unterschiedliche Aspekte des Gehaltes untersucht. Nach dieser Auslegung kritisiert jedes Argument einen bestimmten Aspekt von mentalem Gehalt und macht damit deutlich, dass keiner dieser für die Wahrheit des Gehaltes garantiert.
Das erste Argument fragt ganz allgemein nach dem empirischen Gehalt von Wahrnehmungen, während sich das zweite auf den phänomenalen Gehalt fokussiert. Der Dämon-Einwand stellt wiederum den a priori bzw. begrifflichen Gehalt in Frage, d.h. Gehalt, der ohne Erfahrung präsent sein kann.


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