Dienstag, 7. August 2012

Brentano

Das Ziel von Brentanos zweitem Kapitel besteht darin, ein hinreichendes und notwendiges Kriterium zu bestimmen, da psychische Phänomene von physischen abgrenzt und dadurch "Mentalität" definiert. Was unterscheidet ein Wesen mit einem Geist von einem vielleicht sehr komplexen Automaten?
Nach Brentano kann dieses Kriterium allein die Intentionalität mentaler Zustände sein

"Intentionalität" bezeichnet die Eigenschaft psychischer Phänomene, auf Objekte gerichtet zu sein. Die Objekte weisen somit eine "immanente Gegenständlichkeit" auf, was bedeutet, dass sie in dem mentalen Zustand "enthalten" sind.
Und was soll wiederum heißen? Wenn man z.B. seine visuelle Wahrnehmung der Außenwelt beobachtet, stellt man fest, dass man nicht die Gegenstände "an sich" erfasst; sie sind vielmehr immer an das Medium "Wahrnehmung" gebunden und in diesem Sinne auch in ihm "enthalten".

Das Kriterium der Intentionalität erscheint intuitiv nicht unplausibel, denn unser Denken und Fühlen richtet sich auf Objekte und Sachverhalte in der Welt. Selbst wenn wir unser eigenes Denken zum Thema unserer Gedanken machen, beziehen wir uns damit auf ein Objekt- eben das Denken. Was könnte man nun gegen dieses Kriterium einwenden?
Nach Brentano behaupten einige Philosophen, wie z.B. Hamilton, dass Empfindungen nicht intentional sind. Der Gehalt bzw. das Objekt von Schmerzen besteht nicht in dem Verweis auf die beschädigte Körperregion, dazu sind Schmerzen meist viel zu diffus. Wenn man sich im Verlauf einer Schmerzempfindung die Zeit nimmt, auf dessen Qualität zu reflektieren, wird man wahrscheinlich bemerken, dass sich der Gehalt nur sehr schwer ausmachen lässt. Jedenfalls ist er nach Meinung einiger Philosophen so wenig konkret, dass man hier von einem intentionalem "Objekt" sprechen könnte.

Brentano reagiert auf diesen Einwurf, indem er darauf verweist, dass die Objektlosigkeit des Schmerzes nur eine scheinbare ist. Das intentionale Objekt des Schmerzes ist intern, d.h. innerhalb des eigenes Körpers. und deshalb ist seine Existenz nicht offensichtlich.
Diese Verteidigung sucht er durch eine Analogie zu stärken: Wenn wir uns auf unsere eigenen mentalen Zustände beziehen, also darüber nachdenken, was wir gerade denken, würde man diese Bezugnahme auch als intentionalen Akt bezeichnen.
Dennoch ist es nicht so, dass der mentale Zustand im Fokus der Introspektion uns als Objekt gegenwärtig ist, d.h. dass wir ihn z.B. vor unserem geistigen Auge von allen Seiten betrachten können. Das intentionale Objekt, i.e. der mentale Zustand, ist auch in diesem Fall nicht klar umrissen, trotzdem handelt es sich nach Brentano um eine intentionale Relation.
Mit Hilfe dieser Analogie will Brentano verdeutlichen, dass es für Intentionalität nicht notwendig ist, dass das intentionale Objekt eindeutig bestimmt werden kann. Stimmt man dieser Prämisse zu, kann man auch Schmerzen und anderen Empfindungen Intentionalität zuschreiben, auch wenn ihre Objekte nicht ganz eindeutig sind.
Sollte man dieser Prämisse zustimmen? tbc

In einem zweiten Schritt wirft Brentano seinen Gegnern vor, dass sie von der Wahrnehmbarkeit mentaler Zustände auf deren Ontologie schließen, was nicht zulässig ist. Nur weil ich etwas nicht vollständig oder nur in einer bestimmten Hinsicht erkennen kann, heißt das nicht, dass dieses Etwas auch notwendig so ist.
Brentanos Opponenten gehen davon aus, dass man von den Objekten der Außenwelt nur durch Wahrnehmung weiß, man jedoch keinen epistemischen Zugang zu den Objekten an sich hat. Da wir die Objekte also nur vermittels der Wahrnehmung kennen, können wir nicht wissen, wie sie unabhängig von der Wahrnehmung sind. Wenn ich bei Schmerzen also kein intentionales Objekt wahrnehme, kann ich nicht wissen können, ob sie ein solches aufweisen.
Brentano meint wiederum: Nur weil man etwas nur durch Wahrnehmung kennt, heißt das nicht, dass man es sich nicht unabhängig von der Wahrnehmung vorstellen kann. Damit letzteres unmöglich ist, muss man voraussetzen, dass durch die Wahrnehmung alle essentiellen Eigenschaften des Objektes erfasst werden. Genau diese Behauptung lässt sich doch allein auf der Grundlage von Wahrnehmung nicht als wahr ausweisen, weshalb Brentanos Gegner sich hier in einen Widerspruch verstricken.
Also kurzum: Wenn man nicht behaupten möchte, dass alles, was wir über Schmerzen wissen können, in ihrer Wahrnehmung offenbart wird, erscheint es durchaus vorstellbar, dass auch sie intentionale Objekte aufweisen.

Da man nach Brentano also nicht ausschließen kann, dass alle psychischen Phänomene intentional sind, ist dieses Kriterium als hinreichend anzusehen. Weiterhin zeigt er in Abgrenzung zu zwei weiteren Merkmalen, dass nur  Intentionalität hinreichend für psychische Phänomene ist.

Das erste Merkmal ist die sukzessive Abfolge mentaler Zustände. Während körperliche bzw. physische Prozesse gleichzeitig ablaufen können, denken wir meist linear, so wenn wir z.B. innerlich mit uns selbst sprechen.
Nach Brentano zeigen aber sowohl sehr begabte Menschen als auch Strahlentiere die Fähigkeit, mehrere mentaler Prozesse gleichzeitig zu koordinieren.
Damit ist das Merkmal der Sukzession jedoch weder hinreichend noch notwendig für das Bestehen psychischer Phänomene. Es ist nicht hinreichend, weil sein Vorhandensein nicht dazu führt, dass genuin menschliche psychische Phänomene erzeugt werden, wie das Beispiel des Strahlentiers zeigt. Es ist auch nicht notwendig, weil wir begabten Menschen nicht ihre psychischen Phänomene absprechen, nur weil sie nicht notwendig sukzessiv denken.

Als zweites Merkmal diskutiert Brentano den Vorschlag, die Einheitlichkeit des Bewusstseins als Alleinstellungsmerkmal des Mentalen zu behaupten. Hier wendet jedoch Spencer ein, dass sich dieses nur bei äußerster Konzentration zeigt. In der alltäglichen Erfahrung lassen sich mehrere Dimensionen des Erlebens unterscheiden: So erlebt er die einzelnen Sinnesmodalitäten als sehr präsent innerhalb der Wahrnehmung und meist wird er zusätzlich von einer Melodie verfolgt.
Hier lässt sich jedoch fragen, inwieweit Spencers Beschreibung seiner Erfahrung verallgemeinerbar ist. Brentano merkt an, dass die unterschiedlichen Dimensionen erst reflexiv in den Blick geraten und man die grundlegende Einheit der Erfahrung nicht leugnen könne.
Wie auch immer man hier zu einem Konsens kommt, ist es jedoch offensichtlich, dass wir die Einheit des Bewusstseins nicht als notwendig für "Mentalität" ansehen. Denn auch wenn Spencer eine differenziertere Erlebnisweise der Welt von sich aussagt, sprechen wir ihm trotzdem nicht ab, über einen Geist zu verfügen. Folglich ist "Intentionalität" auch hier im Vergleich das stärkere Kriterium.

Brentano zeigt in diesem Kapitel also zunächst, dass Intentionalität für alle Zustände zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Weiterhin macht er deutlich, dass dieses Kriterium den anderen Vorschlägen überlegen ist, da es zumindest hinreichend für "Mentalität" ist.



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