Das Ziel von Brentanos zweitem Kapitel besteht darin, ein
hinreichendes und notwendiges Kriterium zu bestimmen, da psychische
Phänomene von physischen abgrenzt und dadurch "Mentalität" definiert.
Was unterscheidet ein Wesen mit einem Geist von einem vielleicht sehr
komplexen Automaten?
Nach Brentano kann dieses Kriterium allein die Intentionalität mentaler Zustände sein
"Intentionalität" bezeichnet die Eigenschaft psychischer Phänomene,
auf Objekte gerichtet zu sein. Die Objekte weisen somit eine "immanente
Gegenständlichkeit" auf, was bedeutet, dass sie in dem mentalen Zustand
"enthalten" sind.
Und was soll wiederum heißen? Wenn man z.B.
seine visuelle Wahrnehmung der Außenwelt beobachtet, stellt man fest,
dass man nicht die Gegenstände "an sich" erfasst; sie sind vielmehr
immer an das Medium "Wahrnehmung" gebunden und in diesem Sinne auch in
ihm "enthalten".
Das Kriterium der Intentionalität
erscheint intuitiv nicht unplausibel, denn unser Denken und Fühlen
richtet sich auf Objekte und Sachverhalte in der Welt. Selbst wenn wir
unser eigenes Denken zum Thema unserer Gedanken machen, beziehen wir uns
damit auf ein Objekt- eben das Denken. Was könnte man nun gegen dieses
Kriterium einwenden?
Nach Brentano behaupten einige Philosophen,
wie z.B. Hamilton, dass Empfindungen nicht intentional sind. Der Gehalt
bzw. das Objekt von Schmerzen besteht nicht in dem Verweis auf die
beschädigte Körperregion, dazu sind Schmerzen meist viel zu diffus. Wenn
man sich im Verlauf einer Schmerzempfindung die Zeit nimmt, auf dessen
Qualität zu reflektieren, wird man wahrscheinlich bemerken, dass sich
der Gehalt nur sehr schwer ausmachen lässt. Jedenfalls ist er nach
Meinung einiger Philosophen so wenig konkret, dass man hier von einem
intentionalem "Objekt" sprechen könnte.
Brentano
reagiert auf diesen Einwurf, indem er darauf verweist, dass die
Objektlosigkeit des Schmerzes nur eine scheinbare ist. Das intentionale
Objekt des Schmerzes ist intern, d.h. innerhalb des eigenes Körpers. und
deshalb ist seine Existenz nicht offensichtlich.
Diese
Verteidigung sucht er durch eine Analogie zu stärken: Wenn wir uns auf
unsere eigenen mentalen Zustände beziehen, also darüber nachdenken, was
wir gerade denken, würde man diese Bezugnahme auch als intentionalen Akt
bezeichnen.
Dennoch ist es nicht so, dass der mentale Zustand im
Fokus der Introspektion uns als Objekt gegenwärtig ist, d.h. dass wir
ihn z.B. vor unserem geistigen Auge von allen Seiten betrachten können.
Das intentionale Objekt, i.e. der mentale Zustand, ist auch in diesem
Fall nicht klar umrissen, trotzdem handelt es sich nach Brentano um eine
intentionale Relation.
Mit Hilfe dieser Analogie will Brentano
verdeutlichen, dass es für Intentionalität nicht notwendig ist, dass das
intentionale Objekt eindeutig bestimmt werden kann. Stimmt man dieser
Prämisse zu, kann man auch Schmerzen und anderen Empfindungen
Intentionalität zuschreiben, auch wenn ihre Objekte nicht ganz eindeutig
sind.
Sollte man dieser Prämisse zustimmen? tbc
In
einem zweiten Schritt wirft Brentano seinen Gegnern vor, dass sie von
der Wahrnehmbarkeit mentaler Zustände auf deren Ontologie schließen, was
nicht zulässig ist. Nur weil ich etwas nicht vollständig oder nur in
einer bestimmten Hinsicht erkennen kann, heißt das nicht, dass dieses
Etwas auch notwendig so ist.
Brentanos Opponenten gehen davon aus,
dass man von den Objekten der Außenwelt nur durch Wahrnehmung weiß, man
jedoch keinen epistemischen Zugang zu den Objekten an sich hat. Da wir
die Objekte also nur vermittels der Wahrnehmung kennen, können wir nicht
wissen, wie sie unabhängig von der Wahrnehmung sind. Wenn ich bei
Schmerzen also kein intentionales Objekt wahrnehme, kann ich nicht
wissen können, ob sie ein solches aufweisen.
Brentano meint
wiederum: Nur weil man etwas nur durch Wahrnehmung kennt, heißt das
nicht, dass man es sich nicht unabhängig von der Wahrnehmung vorstellen
kann. Damit letzteres unmöglich ist, muss man voraussetzen, dass durch
die Wahrnehmung alle essentiellen Eigenschaften des Objektes erfasst
werden. Genau diese Behauptung lässt sich doch allein auf der Grundlage
von Wahrnehmung nicht als wahr ausweisen, weshalb Brentanos Gegner sich
hier in einen Widerspruch verstricken.
Also kurzum: Wenn man
nicht behaupten möchte, dass alles, was wir über Schmerzen wissen
können, in ihrer Wahrnehmung offenbart wird, erscheint es durchaus
vorstellbar, dass auch sie intentionale Objekte aufweisen.
Da
man nach Brentano also nicht ausschließen kann, dass alle psychischen
Phänomene intentional sind, ist dieses Kriterium als hinreichend
anzusehen. Weiterhin zeigt er in Abgrenzung zu zwei weiteren Merkmalen,
dass nur Intentionalität hinreichend für psychische Phänomene ist.
Das
erste Merkmal ist die sukzessive Abfolge mentaler Zustände. Während
körperliche bzw. physische Prozesse gleichzeitig ablaufen können, denken
wir meist linear, so wenn wir z.B. innerlich mit uns selbst sprechen.
Nach
Brentano zeigen aber sowohl sehr begabte Menschen als auch
Strahlentiere die Fähigkeit, mehrere mentaler Prozesse gleichzeitig zu
koordinieren.
Damit ist das Merkmal der Sukzession jedoch weder
hinreichend noch notwendig für das Bestehen psychischer Phänomene. Es
ist nicht hinreichend, weil sein Vorhandensein nicht dazu führt, dass
genuin menschliche psychische Phänomene erzeugt werden, wie das Beispiel
des Strahlentiers zeigt. Es ist auch nicht notwendig, weil wir begabten
Menschen nicht ihre psychischen Phänomene absprechen, nur weil sie
nicht notwendig sukzessiv denken.
Als zweites Merkmal
diskutiert Brentano den Vorschlag, die Einheitlichkeit des Bewusstseins
als Alleinstellungsmerkmal des Mentalen zu behaupten. Hier wendet jedoch
Spencer ein, dass sich dieses nur bei äußerster Konzentration zeigt. In
der alltäglichen Erfahrung lassen sich mehrere Dimensionen des Erlebens
unterscheiden: So erlebt er die einzelnen Sinnesmodalitäten als sehr
präsent innerhalb der Wahrnehmung und meist wird er zusätzlich von einer
Melodie verfolgt.
Hier lässt sich jedoch fragen, inwieweit
Spencers Beschreibung seiner Erfahrung verallgemeinerbar ist. Brentano
merkt an, dass die unterschiedlichen Dimensionen erst reflexiv in den
Blick geraten und man die grundlegende Einheit der Erfahrung nicht
leugnen könne.
Wie auch immer man hier zu einem Konsens kommt, ist
es jedoch offensichtlich, dass wir die Einheit des Bewusstseins nicht
als notwendig für "Mentalität" ansehen. Denn auch wenn Spencer eine
differenziertere Erlebnisweise der Welt von sich aussagt, sprechen wir
ihm trotzdem nicht ab, über einen Geist zu verfügen. Folglich ist
"Intentionalität" auch hier im Vergleich das stärkere Kriterium.
Brentano
zeigt in diesem Kapitel also zunächst, dass Intentionalität für alle
Zustände zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Weiterhin macht er
deutlich, dass dieses Kriterium den anderen Vorschlägen überlegen ist,
da es zumindest hinreichend für "Mentalität" ist.
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