Samstag, 1. September 2012

Descartes, zweite Meditation

Zu Beginn der zweiten Meditation begibt sich Descartes wieder in die Position des Zweiflers.
Er fragt, ob es etwas gibt, das von dem bisher Angezweifelten verschieden sein könnte, so z.B. die Ursache des Zweifels, der böse Dämon, der ihm die falschen Gedanken einflößt.
Aber diese Möglichkeit verwirft er, denn er könnte ja auch selbst die Ursache dieser Gedanken sein.

Dennoch beharrt er darauf, dass in beiden Fällen jeweils ein Ich präsent ist. Wenn er selbst die Ursache der Gedanken ist oder wenn sie von einem bösen Dämon verursacht werden.
Descartes meint also, er existiere, solange er denke, er sei etwas.
Unter "etwas" versteht er hier eine der beiden Möglichkeiten:
1. Er ist selbst der Urheber der Täuschung.
Dann existiert er als Täuscher, auch wenn er sich selbst über seine eigene Existenz täuschen wollte.
2. Der Dämon ist der Urheber der Täuschung.
Dann ist der Satz "ich bin" notwendig wahr, weil er als Opfer der Täuschung notwendig existieren muss. (Es gibt keine Täuschung ohne jemanden, der getäuscht wird.)

Dies ist eine abgewandelte Version des berühmten "Cogito ergo sum", das in den Meditationen gar nicht erwähnt wird. Die grundlegende Idee der aktuellen Version besteht darin, dass es auch in dem hyperbolischen Täuschungsszenario immer ein Ich geben muss, das entweder getäuscht wird oder sich selbst täuscht. Auf diese grundlegende Annahme ist der skpetische Zweifel verpflichtet und dementsprechend kann er sie nicht sinnvoll anzweifeln.
Es handelt sich folglich um eine Gewissheit im cartesischen Sinne, d.h. sie kann nicht plausiblerweise bezweifelt werden.

Descartes hält diese Erkenntnis für evident, denn anstatt sie zu verteidigen, geht er dazu über, die Natur des Ich bestimmen zu wollen. Dabei beruft er sich nicht auf den Begriff des Menschen als animal rationale, sondern er geht von seinen Intuitionen aus. (Hier wechselt er also die Methode vom methodischen Skeptizismus zum Partikularismus)
Körper sind für Descartes ausgedehnt und haben einen Ort und eine Gestalt, nicht aber die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft zu bewegen.
Das Vermögen des Selbstbewegens, des Denkens und Empfindens gehören nicht zu Körpern.
Alle körperlichen Prozesse sind wiederum von den skeptischen Argumenten betroffen; allein das Denken bildet, wie wir oben gesehen haben, eine Ausnahme. (Was wiederum nur so lange gilt, wie man denkt.)
Aus der Immunität des Denkens gegenüber dem Zweifel schließt er nun, dass das Denken eine vom Körper verschiedene Substanz sein muss.

Ein denkendes Ding ist ein solches, das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will, bildlich vorstellt und empfindet.  (Empfinden ist Teil des Denkens, solange es sich auf die Vorstellungen des Geistes und nicht auf die Gegenstände in der Welt bezieht.)

Gegen die Annahme eines solchen denkenden Dinges könnte man nun einwenden, dass wir dieses nicht erfassen. Introspektion, d.h. die Bezugnahme auf unsere mentalen Zustände, zeigt uns immer nur die Gehalte an, nicht aber unser ich. In diesem Sinne ist das Ich bzw. das Bewusstsein sich selbst gegenüber transparent: Wir erkennen uns in unserem Denken, Wahrnehmen, Fühlen etc. nicht.

Descartes argumentiert gegen diesen Einwand, indem er zeigt, dass unsere mentale Prozess notwendig begrifflichen Gehalt haben und durch die Anwendung dieses Gehaltes ist das Ich in jeder Vorstellung mittelbar präsent.
Wenn wir bspw. ein Stück Wachs wahrnehmen, erleben wir nach Descartes nicht nur Vorstellungen bzgl. seiner sekundären Eigenschaften wie Farblichkeit, Geruch etc. Wir erfassen auch die Substanz des Gegenstandes, d.h. seine Ausdehnung, Anzahl, Veränderbarkeit. Für letzteres müssen wir unseren Vorstellungen jedoch Begriffe zuordnen und dies ist nach Descartes eine Operation des Denkens.
Durch das Denken ist aber wiederum der Geist/dasBewusstsein/das Ich präsent in jeder Vorstellung und Descartes nimmt an, dass er aufgrund dieser permanenten Präsenz gewisser ist als die Gehalte des Bewusstseins.

Wie man bereits an der sprachlichen Formulierung erkennt, verwendet Descartes die Begriffe Geist, Bewusstsein und Ich synonym, was dazu führt, dass sein Argument nicht überzeugend ist.
Er müsste vielmehr zunächst beweisen, dass Ich und Bewusstsein identisch sind, indem er z.B. zeigt, dass es kein Ichloses Bewusstsein geben kann. Weiterhin müsste er dann die Verbindung von Bewusstsein und begrifflichem Gehalt nachweisen, so dass die Möglichkeit von unbewussten begrifflichen Gehalt ausgeschlossen wird. Erst wenn diese Gleichsetzung von Ich, Bewusstsein und der Anwendung von begrifflichen Gehalt etabliert ist, kann sie als Erklärung für die permanente Präsenz des Ich verwendet werden.

Die Forschungsdiskussion der zweiten Meditation bezieht sich vor allem auf das Cogito-Argument. Dabei besteht die grundlegende Frage darin, ob es sich bei Cogito ergo sum um  einen Schluss handelt, und wenn ja, um welchen.

Dass es sich um keinen Schluss handelt, dafür spricht zunächst, dass Descartes ihn in den Meditationen nicht als einen solchen formuliert.
Weiterhin kann man zwei Argumente dafür vorbringen, dass ein solcher Schluss nicht korrekt wäre.
Man könnte das Argument folgendermaßen formulieren:
1. Es ist unmöglich, dass etwas, das denkt, nicht exisitert.
2. Ich denke.
K1. Also existiere ich.

Grundmann argumentiert dafür, dass Descartes diesen Schluss ablehnt, weil man die erste Prämisse erst beweisen müsste und damit das Cogito nicht mehr die erste Gewissheit wäre. Wenn man die erste Prämisse aber induktiv beweist, wäre das Argument question-begging. Denn wenn man zeigen will, dass alles, was denkt, auch existiert, muss man sich selbst in die Beweisführung integrieren und damit wäre als wahr vorausgesetzt, was man durch das Cogito-Argument eigentlich erst zeigen wollte.

Nach Dicker ist dieses Argument question-begging, wenn man das Ich in der zweiten Prämisse substantiell versteht. Denn hier wird die Existenz dieses Ich schon  als wahr vorausgesetzt, damit man diesen Satz überhaupt sinnvoll formulieren kann.
Wenn man diese Prämisse jedoch zu "There is thinking" oder "There are thoughts" abschwächt, wie Bertrand Russell es vorschlägt, kann man daraus nicht schließen, dass man selbst als "ich" existiert.
Somit erscheint es fraglich, wie das Cogito-Argument als solches sinnvoll formuliert werden könnte.

Grundmann und Williams argumentieren dafür, dass die erste Prämisse semantisch und nicht ontologisch zu verstehen ist. Das bedeutet, sie macht keine Aussage darüber, wie es sich in der Welt verhält, sondern nur darüber, wie wir den Satz "ich denke" verstehen.
Williams formuliert die Prämissen deshalb folgendermaßen:
1*. Es ist unmöglich zu denken ohne zu existieren.

Nach dieser Interpretation ist das Cogito evident, d.h. es ist so einleuchtend, dass jeder der diese Proposition denkt, sie auch für wahr halten muss. Dadurch ist das Cogito aber noch keine Gewissheit, denn es lässt sich weiterhin durch das Argument des bösen Dämons bezweifeln.
Wenn seine Gewissheit jedoch erst bewiesen werden müsste, handelte es sich beim Cogito nicht um das erste Prinzip der Philosophie, denn ein Beweis müsste auf anderen gewissen Prämissen basieren.

Diese Schwierigkeit kann Descartes jedoch umgehen, indem er in der zweiten Meditation einen indirekten Beweis vorlegt. Wie oben bereits dargestellt, macht Descartes deutlich, dass der hyperbolische Zweifel auf eine der beiden Grundlagen festgelegt ist: Entweder gibt es ein denkendes Ich, das sich selbst ständig täuscht, oder es gibt einen bösen Dämon, dessen Täschung notwendigerweise ein getäuschtes Subjekt bedarf.
Dadurch dass gezeigt werden kann, dass der Skepktiker auf eine dieser beiden Prämissen verpflichtet ist, wird das Cogito als erstes Prinzip des Denkens und der Philosophie ausgewiesen, aber Descartes muss keine grundlegenden Wahrheiten voraussetzen. Seine Argumentation verläuft vielmehr genau umgekehrt: Wenn alle Gedanken zweifelhaft sind, muss man entweder jemanden annehmen, der sich selbst täuscht, oder jemanden, der getäuscht wird. Somit ist die notwendige Prämisse der hyperbolischen Zweifel, dass es jemanden gibt, der getäuscht wird, und da "getäuscht werden" eine Form von Denken ist, handelt es sich dabei nur eine spezielle Formulierung des Cogito.





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